Bericht von Julia Berger

Ein altes Bauernhaus steht leer

"Wir sind schon einige Jahre wehmütig an dem alten Bauernhof im Ortskern des angrenzenden Dorfes vorbeigegangen. Nachdem der alte, griesgrämige Bauer Gottfried Helm gestorben war, gab es keinen Erben. Gottfried Helm war unverheiratet und kinderlos geblieben und so kam es, dass das große Bauernhaus zum Verkauf ausgeschrieben wurde. Alle im Dorf kannten das Haus, denn dort hatte Herr Helm in den vergangenen Jahrzehnten sein Obst und Gemüse im Hofladen verkauft. Und auch, wenn es immer wieder Interessenten für das Haus gab, konnte über Jahre hinweg kein Käufer gefunden werden - bis zum letzten Jahr. Wir sahen immer wieder ein Auto mit italienischem Kennzeichen durch den Ort fahren und vor dem Haus stehen. Von weitem konnten wir die Italiener mit Gutachter und Makler um das Haus herum gehen sehen. Sie maßen aus, prüften, ließen sich beraten und schließlich kauften sie das Haus. Wir waren alle gespannt, was sie aus dem Haus machen würden, denn der griesgrämige Gottfried hatte in seinen letzten Lebensjahren keine Renovierungen am Haus durchgeführt und der lange Leerstand hatte sein Übriges getan. Die Renovierung sollte ein Mammutprojekt werden. Das Haus ist über 200 Jahre alt und steht deshalb unter Denkmalschutz. Für die Renovierung und Sanierung des Hauses bedeutete dies äußerste Vorsicht und genaue Beachtung der Vorschriften. Lange rede, kurzer Sinn: Das Haus ist wunderschön geworden! Sie haben es herausgeputzt, das alte Fachwerk schön in Szene gesetzt, den Hofladen aufgehübscht und den Innenhof wunderbar idyllische gestaltet. Und was wurde aus dem alten Kuhstall? Richtig! Ein Restaurant! Welch ein Klischee, aber die Italiener machen halt einfach gutes Essen.

Von Florenz nach Kirchbergen

Wer ist denn nun ins Dorf eingezogen? Mutter Francesca de Luca ist in Deutschland als Tochter von Gastarbeitern geboren worden und ging zum Studium zurück nach Italien, genauer nach Florenz. Dort verliebte sie sich Hals über Kopf in Antonio de Luca, der sich sein Studium mit Tellerwaschen in einem hochklassigen Restaurant finanzierte. Nach einem wilden Sommer war auch schon Lucia unterwegs. Zu dritt hatten sie es nicht einfach. Sie arbeiteten hart, brachten ihr Studium zu Ende und kümmerten sich dennoch liebevoll um die kleine Lucia. Nach langen Jahren der Entbehrungen und harten Arbeit, hatte sich Antonio trotz fehlender Kochausbildung zum Küchenchef des Nobelrestaurants hochgearbeitet. Francesca arbeitete währenddessen als Übersetzerin für Deutsch, Französisch, Englisch, Spanisch und natürlich Italienisch in einem Verlag und nahm auch Aufträge als Dolmetscherin an.
Als Lucia, die zweisprachig (deutsch und italienisch) aufwuchs, die Schule mit sehr guten Noten beendete, stand es den dreien nach einer Veränderung. Sie wollten raus als Florenz und ein neues Abenteuer beginnen. Da sahen sie die Anzeige eines alten Bauernhauses in Vesland. Lucia, die immer mit ihrem Tatandrang glänzte und mit handwerklichem Geschick gesegnet war, schwärmte ihren Eltern davon vor, das Haus zu renovieren, ein Restaurant zu eröffnen und im kleinen Hofladen italienische Spezialitäten zu verkaufen. Gesagt, getan! Sie sind nun hier und wir wollen unseren neuen Italiener gar nicht mehr missen. Mittlerweile ist das "De Luca" unser Stammlokal und für große Siegesfeiern reservieren wir natürlich für die ganze Berger-Belegschaft einen langen Tisch.

Vom Restaurant in den Sattel

Schnell hatten wir die Familie in die Arme geschlossen und Lucia kam zu uns auf den Hof, um reiten zu lernen. Richtig. Sie hatte bis dahin noch nie in ihrem Leben auf einem Pferd gesessen. Ich merkte schnell, dass sie eine besondere Beziehung zu den Tieren aufbauen konnte. Sie lernte richtig schnell dazu und so kam es, dass ich ihr unseren damals 14-Jährigen Hengst Alentador (ehemaliges Polopferd) anvertraute. Wir wollten den beiden einfach eine Chance geben und nun sind sie ein Herz und eine Seele. Wenn Lucia nicht gerade im Hofladen steht oder abends im Restaurant aushalf, war sie bei Alentador. Eigentlich steht er ja auch den anderen Reitschülern zur Verfügung, aber da nur wenige mit ihm wirklich klarkommen, darf Lucia ihn fast alleine reiten.
Eines Tages kam sie mit einer Turnierausschreibung zu mir: EZ Zahr. Eintagesritt. 88 km. Da musste ich erstmal tief durchatmen. Ich wusste, dass Alentador das Potential für LDR hatte, aber dies wurde lange nicht mehr in Anspruch genommen. Doch Lucia sah mich mit ihrem bezaubernden Lächeln... Wer kann da schon nein sagen? Wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hatte, musste sie es auch durchziehen. Also leitete ich sie an meinen Mann Karl weiter, der die beiden unter seine Fittiche nahm. Er erstellte ihnen einen Trainingsplan für die lange Distanz und kontrollierte ihre Fortschritte. Er unterrichtete Lucia außerdem in allem, was sie über die technischen und medizinischen Details wissen musste.
Als endlich der große Tag des ersten Distanzritts kam, waren wir alle sehr gespannt, wie sie zurechtkommen würden. Im Training geht viel, aber im Wettkampf muss man es auch umsetzen können. Und was geschah? Lucia konnte in ihrem allersten Turnier zur Siegerin gekürt werden! Wir waren alle sprachlos und natürlich fand die Siegesfeier im "De Luca" statt - wo auch sonst? Lucia wurde über die letzten Jahre ein fester Bestandteil unserer Distanzturniermannschaft und hat schon unsere hochklassigen Hengste Latif Leil ox, Ehawee, Favoritas Dark Side of The Moon, Wasim Malik usw. erfolgreich geritten.

Aus zwei Familien wird eine große Gemeinschaft

Wie ihr seht, hat uns die Familie de Luca voll in ihren Bann gezogen. Seit sie ihren Hofladen mit italienischen Spezialitäten geöffnet haben, trinken Karl und ich seltsamerweise wieder mehr Wein... Ob das so gut ist...
Für unseren Sohn Valentin war der Zuzug der italienischen Familie auch ein großer Glücksgriff, denn schon nach ein paar Monaten nach ihrer Ankunft hatten sich Lucia und Valentin verliebt. Das alles ist schon eine ganze Weile her, aber die beiden konnte nichts voneinander trennen und jetzt sind sie im Frühjahr 2021 das erste Mal Eltern des kleinen Mädchens Cleo geworden. Alle sind super happy und freuen sich auf alles, was da noch so kommt."